Sonntag, 30. Januar 2022

Die Nachfahren der Sklaven auf der Flußschleife

Foto: Wikipedia

Die Abstrakten Kunstwerke einer kulturellen Enklave

In Alabama, auf einer Halbinsel in einer Flußschleife des Alabama-River lebt eine Gruppe von Menschen, die sich direkt von ihren versklavten Vorfahren ableiten können, sogar von der Verschleppung aus Afrika um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Das etwa 700 Personen starke Dorf ging aus den Sklaven hervor, die auf der Plantage eines gewissen Joseph Gee arbeiteten, was dem Ort den Namen »Gee’s Bend« gab, »bend« bedeutet Flußschleife.

In relativer Isolation, durch brutale Schuldeneintreibung in den 1930er Jahren verarmt, wurden sie staatlicher Hilfe bedürftig, und der Staat entschied, dass den Bewohnern eigenes Land zum Bewirtschaften gegeben wurde, und eine Poststation wurde geschaffen. Wiederum ging 1962 der Fährdienst ein, so dass ihre abgeschnittene Lage auf der Halbinsel sich verschärfte. Es ging zunächst also um ein Leben unter sehr einfachen Umständen, Hütten ohne elektrisch Licht oder fließend Wasser, und entsprechend wichtig war es, warme Decken für die Nächte zu haben.
Die Besonderheit dieser Quilts, die von jeher dort geschaffen wurden, um praktischen Zwecken zu dienen, sind:

1. Die grafisch eindrucksvolle Schlichtheit der Muster,
2. Die Verwendung von Arbeitskleidung, zusammen mit leuchtenden Unis.

Aus der Not eine Tugend zu machen ist eine besondere Spezialität dieser Quilterinnen. Wie in der Diashow sichtbar, verstehen sie es, Schattierungen durch Ausbleichen geschickt zum Gestaltungsmittel zu machen. Die geometrische Kühnheit ihrer Kompositionen steht der Kunst eines Mondrian oder Paul Klee in nichts nach.
Vermutlich wurden auch Einflüsse indigener und afrikanischer Werke aufgenommen. In den frühen 1960er Jahren wurden Sammler von Volkskunst wie William Arnett auf die Quilts aufmerksam, die von einigen Frauen des Ortes genäht wurden. Der Durchbruch kam mit einer Ausstellung 2002, von Arnett veranstaltet. Da er die Quilts zu deutlich höheren Preisen verkaufte, als er sie selber erworben hatte, versuchten die Künstlerinnen, ihn zu verklagen, hatten damit aber keinen Erfolg. Zusammen mit der »Artists’ Rights Society« setzte er sich für das Copyright der Künstlerinnen an ihren Quilts ein.

Inzwischen sind die Quilterinnen organisiert und können auf große und bedeutende Ausstellungen zurückschauen.

Die aktuelle Ausstellung von "Souls Grown Deep"

Ein paar Bemerkungen zur Entstehung der Quilts

Liebe Damen und Herren, wie ich sehe, gibt es auch Interesse für die Entstehungsgeschichte der Quilt-Techniken. In den Jahren, in denen ich mich mit dem Thema beschäftige, bin ich auch auf schöne, meist englischsprachige Literatur gestoßen, aus der man viel zu dem Thema erfahren kann. Ich nenne zur Vertiefung der Kenntnisse nur Jonathan Holstein und Ruth Tschudy.

Das Nähen von Decken aus Einzelstückchen war immer aus der Not geboren. Textilien sind vergänglicher als andere Werke der Menschen, so kennen wir aus früheren Jahrtausenden keine Beispiele. Die ersten Textilmosaike, die uns erhalten geblieben sind. stammen aus dem 17./18.Jahrhundert, und da war es nicht die wirtschaftliche Not, sondern die Sehnsucht nach dem knappen Gut der orientalischen, vor allem indischen Druckstoffe. Aus Sorge um die einheimische Textilindustrie errichteten europäische Länder Zollschranken, so dass die glücklichen Besitzerinnen von indischen Drucken auch aus ihren letzten Restchen etwas zu machen versuchten.


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So entstanden Appliqués wie dieses von 1830, deren beste heute ungeheure Preise erzielen.

Die Techniken des Nähens wurden von den Pionierfrauen nach Amerika gebracht. Und dort waren sie sehr nützlich, da Siedler im 18./19.Jh. auch weit ab von allen Handelsrouten siedelten. So wurde jedes Hemd, jedes Kleid bis zu den letzten Fetzchen weiter verwendet, um sich und die Familie in den kalten Nächten zu schützen. Hierbei war es wichtig, die Quilts mit reicher Stepparbeit zu versehen, damit die Stofflagen nicht verrutschten und die wärmenden Luftkammern zwischen den Stofflagen entstanden. Einen weiteren Zweck hatte das Quilten: Viele der Siedler bildeten religiöse Gemeinschaften, die in Europa nicht geduldet wurden. Sie hatten oft strengere Grundsätze, wie z.B. die Amish, die das Bilderverbot ähnlich auslegten wie der Islam. Darum verwendeten sie ausschließlich Uni-Stoffe, dekorierten sie aber mit raffinierten Quiltnähten. 


Das Quilten in Amerika blieb bis weit nach der Erfindung der Nähmaschine überwiegend Handarbeit. Woran lag das?

Das Quilten war eine gesellige Arbeit. Frauen trafen sich auch, um Neuigkeiten auszutauschen, Freundschaften zu pflegen und sich in den Pausen mit Selbstgebackenem zu stärken. Kann man sich das unter dem Rattern von zehn Nähmaschinen vorstellen?